Katja Mann – eine Frau mit vielen Gesichtern
- Inge und Walter Jens: Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim. Rowohlt, Reinbek 2003, 354 Seiten.
- Kirsten Jüngling, Brigitte Rossbeck: Katja Mann. Die Frau des Zauberers. Biografie Propyläen, München 2003, 416 Seiten, 22 EUR.
Rheinischer Merkur, Nr. 31, Rubrik: Literatur, Donnerstag, 31. Juli 2003, S. 20.
BIOGRAFIE / Zwei neue Bücher zeigen Katia Mann als Frau mit vielen Gesichtern. Gefährtin des Zauberers.
Es scheint kaum möglich, den Lauf der Erde zu beschreiben, ohne dabei ihr Verhältnis zur Sonne einzubeziehen. Vor eben dieser Herausforderung stehen Biografen, wenn sie es unternehmen, die Lebensgeschichte von Katja, der Frau der literarischen Lichtgestalt Thomas Mann, niederzuschreiben. „Wer war Frau Thomas Mann?“ Die Antwort scheint klar: Katja ist die Ehefrau an der Seite des berühmten Schriftstellers. Und wer kennt Katja nicht aus Heinrich Breloers populärer Fernsehserie über „die Manns“ als zentrale Figur im Reich des Zauberers, Mutter seiner Kinder, omnipräsentes „Zubehör“ des Schriftstellers und Hüterin über den Seelenfrieden ihres „Tommy“?
Die neu herausgegebene Biografie des Autorenteams Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck unterstützt dieses Bild. In einer Vielzahl von Details und Fakten stellen sie ein Mosaik aus zahlreichen Lebensstationen zusammen. Ein Mosaik, dass Katja vor allen Dingen in ihrer Rolle als Sekretärin, Managerin, Buchhalterin und Organisatorin der „Firma“ Thomas Mann darstellt. Der Buchtitel zeigt Katja, vor einem Arbeitsheft sitzend, Thomas Mann steht daneben. Sie ist, der Übertitel unterstreicht es, in erster Linie „die Frau des Zauberers“. Obwohl ihre „sehr reizvolle und berühmte Kindheit“ die ideale Voraussetzung für ein erfülltes selbstbestimmtes Leben geboten hätte, wählt sie, so Réné Schickele, „die schöne Ehe, die breite Sackgasse“. Das sehen auch Jüngling/Roßberg so, wenn sie konstatieren: „Ein Mann. Thomas Mann hatte sich ihr in den Weg gestellt.“ Damit, meinen die Autoren, fand ihre berufliche Selbstverwirklichung „ein jähes und später von ihr mitunter betrauertes Ende“.
Zu einseitig findet das Autorenteam Inge und Walter Jens in seiner ebenfalls neu erschienenen Biografie „Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim“ diese Perspektive. Das Ehepaar Jens, wie die Manns ein langjähriges und unzertrennliches Paar der Literatur, sucht eine differenziertere Antwort und geht der Biografie Katjas mit großem Respekt vor der Person und sensiblem Gespür für ihre vielschichtigen und zum Teil widersprüchlichen Seelenlagen nach.
Die Thomas-Mann-Spezialisitin Inge Jens interessierte, wie es Katja gelingt, im Bannkreis des exzentrischen, hypochondrischen und homophilen „Zauberers“ sie selbst zu bleiben. Im „kontroversen Gespräch“ ist das Ehepaar Jens dieser Frage nachgegangen – mit Inges Beharren auf der „weiblichen Perspektive“ und vielleicht mit schmunzelndem Blick auf die eigene Partnerschaft. Parallelen gibt es genug: Wie Katja ist Inge mehr für die praktischen Dinge des Lebens zuständig –
z.B. das Chauffieren ihres ebenfalls führerscheinlosen Gatten.
Nach jahrelanger Recherche und Auswertung vieler hundert unpublizierter Briefe und Dokumente lassen die Jens vor allen Dingen Katja selbst zu Wort kommen. In großen Linien zeichnen sie anhand eigener Äußerungen Katjas eine Skizze, die ein ganz neues, eigenständiges Bild der faszinierenden und selbstbewussten Persönlichkeit entstehen lässt. Ein Blick auf das Titelfoto der Jens-Biografie macht den Unterschied zur Perspektive von Jüngling/Roßberg deutlich. Das Umschlagbild stellt - Thomas Mann wird bewusst „angeschnitten“ und künstlich an den Buchrand gedrängt - eine selbstbewusst strahlende Katja in den Mittelpunkt. Es zeigt eine Frau, für die ihre selbstgewählte Rolle an der Seite des berühmten Dichters nicht im Widerspruch zu persönlicher Erfüllung und Selbstbestimmung zu stehen scheint. Denn, so dass Ehepaar Jens „indem sie ihr ganzes Dasein auf Thomas Mann bezog, (...) ihm ihr Leben widmete (nicht ‚opferte‘), fand sie sich selbst.“
Katja Pringsheim, 1883 geboren, wuchs als jüngste Tochter eines Mathematikprofessors und einer ehemaligen Schauspielerin in der liberalen und kunstfreundlichen Welt einer der reichsten Familien Münchens auf. Von ihren vier Brüdern wurde die lebenslustige, burschikose, sportliche und aktive Katja anerkannt und geliebt. Katja entwickelt sich zu einer intelligenten, selbstbewussten und attraktiven jungen Dame, die sich schon früh durch charmante Selbstironie und originellen Sprachwitz auszeichnet. So hatte sie beispielsweise bereits als Fünfjährige ihrer Mutter mit Bestimmtheit erklärt „Ich heirate nicht.“ „Männer – auch das war der Fünfjährigen klar – waren nur dann unentbehrlich, wenn man Kinder haben wollte.“
Damals noch unüblich, bekam Katja, den Brüdern gleichberechtigt, alle Chancen auf Bildung und Ausbildung. Dafür hatte nicht zuletzt Großmutter Hedwig Dohm, engagierte Publizistin und Feministin, gekämpft. Katja ist nicht nur eine der ersten Abiturientinnen Münchens, sondern wird auch als eine von wenigen jungen Frauen zum Studium der Mathematik und Physik zugelassen. „Ich (...) fühlte mich sehr wohl und lustig in meiner Haut, (...) mit den Brüdern, dem Tennisklub und mit allem“, so Frau Thomas Mann im Rückblick auf die Zeit in ihrer Familie.
Katjas Selbstbewusstsein und Courage wecken auch die Aufmerksamkeit Thomas Manns. Er lernt sie bei der berühmten Straßenbahnszene kennen, in der sie wagemutig und ohne Respekt vor den Augen des Schaffners vom Waggon springt. Nach systematischen Werben des jungen Dichters, unterstützt vom homophilen Zwillingsbruder Klaus Pringsheim, stimmt Katja einer Ehe zu. Denn, „wenn man Kinder haben wollte“ – und Katja wollte Kinder – waren Männer schließlich unentbehrlich.
Die Zeit nach der Heirat ist durch Geburt und Erziehung der sechs Kinder, Häuser und Wirtschaft und die Unterstützung der Arbeit Thomas Manns geprägt. Viele familiäre Details hat Heinrich Breloer in seinem Fernsehfilm über „die Manns“ thematisiert: vom Hausbau in München und der Sommerresidenz in Bad Tölz über Katjas zahlreiche Kuraufenthalte in Sanatorien, die Schwierigkeiten mit den exzentrischen Kindern - vor allen Dingen den drogensüchtigen und homophil veranlagten Ältesten Erika und Klaus – bis hin zum Exil in die Schweiz, Übersiedlung in die USA, nach Princeton und Kalifornien und schließlich Rückkehr nach Europa und Lebensabend in Kilchberg.
Vornehmlich aus Briefen an ihre Mutter, an ihre beiden „Großen“, an die Princetoner Freundin Molly Shenstone und den Zwillingsbruder Klaus gewinnt der Leser ein differenziertes Bild von Katjas Persönlichkeit, das durch viele neue Aspekte überrascht. Die Briefe werden von den Jens in ihr biografisches Umfeld eingebettet und einfühlsam kommentiert. Was das Bild von Katja prägt, sind unter anderem ihr gleichbleibend enger Kontakt zum Elternhaus, besonders zu ihrer Mutter, ihr Bedürfnis nach außerfamiliärem Austausch mit Freundin Molly und nicht zuletzt die Sorge um ihre Kinder und Thomas Manns Bruder Heinrich. Beeindruckend sind auch ihre politische Klarsicht bezüglich des NS-Regimes, ihr überzeugtes menschliches Engagement für Exilanten aus den USA und die kontinuierliche finanzielle Unterstützung von bedürftigen Freunden und Bekannten. Ohne dass Katja ausdrücklich von ihrer emotionalen Verfassung spricht, erfährt der Leser außerdem viel von ihrer individuellen Wahrnehmung – besonders über ihren scharfzüngigen, pointierten und treffsicheren, witzigen und von Selbstironie geprägten Sprachstil, der auch von den Jens als ihren Charakter kennzeichnend immer wieder hervorgehoben wird. Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang ist ihre maßgebliche Rolle als sprachbegabte literarische „Materiallieferantin“ – z.B. mit ihren in Thomas Manns „Zauberberg“ verarbeiteten anschaulichen Schilderungen aus den Kuraufenthalten.
Nach dem Tod Thomas Manns bestimmt die rüstige Katja weiterhin maßgeblich das Geschick der Familie und verwaltet im Interesse der Kinder das Vermögen - auch wenn die alte Dame bittet, ihre „nicht sehr erhebliche Existenz“ nicht zu überschätzen. Lange bleibt die leidenschaftliche Autofahrerin mobil und aktiv, physisch robust, immer noch entschieden, manchmal ungeduldig und spontan, bis sie siebenundneunzigjährig in ihrem Haus in Kilchberg stirbt.
Insgesamt liest sich die Biografie des Ehepaars Jens sehr unterhaltsam, durch Anekdoten aufgelockert, die wichtigsten Details erwähnend, ohne mit überflüssigen Einzelheiten zu überladen. Beinahe so, als erzählte das Paar von einer verstorbenen Freundin – und tatsächlich ist Inge Jens Katja Mann ja 1960 persönlich begegnet.
Welche Perspektive man letztlich einnimmt: Katja Mann war eine starke Frau mit vielen Gesichtern, deren Leben sich nicht auf ein Schattendasein neben ihrem Mann reduzieren lässt. Hauptsächlich geprägt von ihrer Widersprüchlichkeit, denn laut Frido Mann konnte sie „ungeheuer zärtlich, liebevoll und großzügig sein, aber auch schroff, dominant und ungeduldig“.