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Alfred Kolleritsch: Tröstliche Parallelen.

Gedichte. Graz - Wien: Literaturverlag Droschl, 2006. 80 S.; geb.;
Rezension vom 22.06.2006 im literaturhaus.at
www.literaturhaus.at/index.php

außerdem Sendung im 19.01.2007 vom Deutschlandfunk
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"Hinziehende Gedichte" - oder über die Kunst, "Licht mit der Schlinge zu fangen"

Ein Meister höchstmöglicher lyrischer Verdichtung von Sinnlichem und Abstraktem ist er. Erlebtes und Gedachtes treibt er auf engstem Raum aufeinander zu. Auch in den wortkargen Gedichten seines jüngsten Bandes "tröstliche parallelen", wo einmal mehr das Wort "Fleisch werden will, sterblich", "dreht die Sprache / die Dinge her." Wenigstens in einigen Versen, so seine Hoffnung, ist ein Gleichklang von Wort und Welt möglich. Wenn auch nur für kurze Augenblicke, wie keiner besser weiß als der Autor selbst: Alfred Kollertisch, Gründer des "Forum Stadtpark" und seit 1960 Herausgeber der Literaturzeitschrift "manuskripte".

Für den Grandseigneur der Literatur und promovierten Philosophen ist Wittgensteins Diktum "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt" Bedingung jeglichen, auch poetischen, Sprechens. Das Dilemma: Wo Worte einerseits das Erkennen von Wirklichkeit allererst erlauben, verstellen sie andererseits den direkten Blick auf die Dinge und verhindern damit jedes unmittelbare Erleben. Aber genau um das intensivierte Erleben geht es Kolleritsch in seiner gesamten literarischen Arbeit; so auch in seinem Gedichtband "tröstliche parallelen". Seine "kleine private Ästhetik": Er will beim Schreiben "die genauere, unverdecktere Welt suchen und die Erfahrung, derentwegen man überhaupt die Augen öffnet." Sein Anliegen ist die Steigerung der Einbildungskraft und Befreiung des Empfindens. Er will, so der Autor in einem "Brief an Julian", seinen Sohn, "hinter die Augen dringen, die das Geschehene fest-sehen." Kolleritsch interessiert "der Vorzustand der Begriffe, so als gäbe es sie vor den Dingen ..." Sein literarisches Prinzip: Festgefügtes sanft aufzulösen, um damit eine Intensivierung der Wahrnehmung und größere Unmittelbarkeit der Anschauung zu erreichen. Denn erst "Wenn sich / zu den Zeichen kein Ding stellt, / ist das Andere schön." Ein Leitgedanke, der auch seine in den letzten zwei Jahren entstandenen Gedichte prägt.

Kolleritsch ist dabei immer auf Augenblicke aus, Momente relativer Dauer. Lyrik, so der Autor, hat für ihn die Funktion "eines Blitzlichts: Das Gedicht wirft plötzlich Licht auf die Dinge und hebt sie heraus, rettet so eine Situation." Ausgehend vom konkreten Erleben sollen sich in seinen Gedichten die Dinge spiegeln - so unabhängig wie möglich vom Blick des Wahrnehmenden. Er ist auf der Suche nach einem Dritten zwischen Wahrgenommenem und Vorgestelltem: das Erscheinende als Möglichkeit. Anlass sind Nunc-stans-Erlebnisse mit durchaus religiöser Konnotation, aufbewahrt im Gedicht als, so Manfred Mixner, "säkularisierte Epiphanie". Nicht zufällig ist auch in "tröstliche parallelen" von einem "Osterlicht, das Auferstandene hoch in den Wolken" die Rede; und immer wieder fallen Begriffe wie Verheißung und Erlösung. Der wahre Maler, heißt es in einer seiner Erzählungen, "malt (...) die Dreieinigkeit". Analog dazu fixiert Kolleritsch das Andere: ein Drittes zwischen Wort und Ding, Abstraktem und konkretem Erleben, Denken und Sinnlichkeit. Kolleritsch zieht buchstäblich "tröstliche parallelen", sucht Momente des zeitlichen oder räumlichen Übergangs, fixiert Zwischenräume, findet Orte auf der Schwelle: "Gebannt auf den Schienen, / die tröstliche Einfalt / der Parallelen, / Ruhe." Dazu verschränkt Kolleritsch die Gegensätze so dicht wie möglich. Das konkrete Erleben wird "Hineinerzählt in das Gedicht: / der verdorrte Kamelienzweig. // er bricht in die Verse". Die poetische Sprache wird systematisch aufgebrochen für Splitter der Wirklichkeit: "Das Gedicht langsam / in die Treppe getreten, / unter den Schritten zerdrückt, / (....) findet es sich, // (...) wie Verwesung."

Zwar dominiert in vielen Gedichten der Eindruck der scheinbar unüberbrückbaren Differenz: In Naturversen zwischen nur Vorgestelltem und konkreter Gegenwart, in Liebeslyrik zwischen Ich und Du und in philosophischen Zeilen zwischen Sprache und Welt. Aber immer wieder gibt es auch einen "Blick lang / (...) den Abgrund nicht, nicht den Abschied" und finden sich Momente der "Heimkehr, / ohne fortgewesen zu sein". Manchmal können die Zeilen nur karge Ausbeute bergen: dürftige "Beeren im Winter". Wie "Jagende ohne Wild" irren wir mit dem Autor durch die Verse, "hinter uns her. / Schon im voraus. / (...) unzeitig war der Anfang, / die Zeit seither verfing sich im Geäst." Aber oft retten die Gedichte auch, den "Streifen / Zeit, / gebändigt zum Verweilen", und zwischen "Tag und Nacht (...) / tauscht sich das Bleiben ein / und bleibt".

Zur Beschwörung dieser Momente bedient sich Kolleritsch einer traumhaft-magischen Bilderwelt und eines suggestiven poetischen Zeichensystems. Er arbeitet dabei mit eng verschränkten abstrakten und konkreten Begriffswelten. Musik, Poesie und Schönheit stehen für die Hoffnung als Kontrast zum Nichts, dem Fremden, dem Schatten. Himmel, Sommer und die Farbe Grün repräsentieren das Glück; dem gegenüber der Schnee, die Nacht, das Grab. Die Berge treten immer wieder als Orte der Schwelle in Erscheinung, symbolisieren den Übergang ins Eigentumslose. Als "Schutzbaum (...) / das letzte Blätterdach, / die Wohnstatt, / das Gedankennest" taucht häufig die Eiche in den Zeilen auf. Von ihr kommt immer wieder Rettung. In Zeiten der Orientierungslosigkeit hilft es dem lyrischen Sprecher, den "Eichen im Park zu vertrauen. Von ihnen her kam brennend / der Hinweis und erlöste."

An japanische Haikus erinnern die Gedichte Kolleritschs nicht nur in der bildkräftigen Einfachheit ihres poetischen Zeichensystems. Auch ihre Kürze sowie die Schlichtheit und Klarheit der Sprache teilen seine Verse mit den wortkargen asiatischen Dreizeilern. Eine weitere Übereinstimmung ist die spezifische Verschränkung von Konkretem und Abstraktem. Aus dem gemeinsamen Bewusstsein, dass alles Erleben nur im Spiegel der jeweiligen Gegenwart statthatt, gehen die Gedichte immer von konkreten Ereignissen aus, um in der Sehnsucht nach Gegenwärtigem die Dauer im Augenblick zu finden. In einem kontemplativen Moment der Anschauung entstehen so aus der typischen Transzendierung eines aktuellen Erlebnisses magische Stimmungsbilder schlichter Harmonie. Es geht darum, so die Zeilen Kolleritschs, "den Gleichklang zu suchen (...) / das Verschwinden zu schenken". Der Dichter, der den Dingen nur seine Worte leiht, nimmt sich dafür weitestgehend zurück, damit die Welt unvermittelt in Erscheinung treten kann. Denn auch darin stimmt Kolleritsch mit den Meistern der Haiku-Kunst überein: Nur "Was sich hergibt, (...) schließt den Schnitt."

Ein Schnitt, der niemals endgültig zu schließen sein wird. Deshalb gilt es, das Zusammentreffen von Ich und Welt immer wieder neu im poetischen Akt zu beschwören. Unterwegs zu bleiben zu einem Ort der Offenheit, der uneingeschränkten Möglichkeiten, wo noch nichts Bedeutung hat. Sich wachsam zu halten, in der Hoffnung, dass es doch eines Tages gelingt "Licht mit der Schlinge zu fangen, / den Anfang des Erscheinens, / des Augenpaars?"

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